Quelle: Tagblatt, Montag 6. November 2006, Rubrik Leben:

Bild: Sam Thomas
Die Kasse aus Vaters Tabakladen und viel, viel mehr:
Bea Wildhaber in ihrer "Fueterchrippe" in Zuckenriet



PORTRÄT
"So bin ich halt"


Die Appenzellerin Bea Wildhaber betreibt in Zuckenriet seit 26 Jahren eine Galerie und einen Geschenkladen. Da geht es nicht nur um Kunst und Kommerz, sondern vor allem um Menschen und Begegnungen.

Schon unter der Türe entschuldigt sich die Frau, dass halt ein bisschen eine Unordnung herrsche, so kurz vor der Vernissage. Unordnung? Es ist eher eine belebende Fülle, und das ist eines der Markenzeichen von Bea Wildhabers "Fueterchrippe", die aus einem Galerieraum und einem Ladenteil besteht. In der Galerie sind seit gestern Papierengel, Keramikfiguren und Objekte aus handgeschöpftem Papier zu sehen; im Laden gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Gläser, Kerzen, Karten, Flaschen, Kissen, Bilder, Bücher, Körbe, Töpfe, Puppen, Blumen, Vasen, Kugeln, Taschen, Weihnachtsfiguren, Seifen. An die Wände geheftet oder von der Decke hängend immer wieder Sprüche. "Eröffne keinen Laden, wenn du nicht lachen kannst", lautet einer. "So wissen die Leute gleich, mit wem sie es hier zu tun haben", sagt Bea Wildhaber.

Ein Bauernhaus auf dem Land
Mit der "Fueterchrippe" hat sie sich einen Traum verwirklicht, vor vielen Jahren, und damit auch ein Stück Kindheit wieder aufleben lassen. Ihr Vater nämlich führte in Heiden einen Tabakladen. Da gab es etwas zu rauchen, einige Papeterieartikel, Schokolade. Aber vor allem traf man sich hier zum Debattieren und Politisieren. "Für mich als Kind war das spannend, da lief immer etwas", erinnert sie sich. Also absolvierte sie eine Verkäuferlehre in einem Tabakgeschäft und übernahm danach mit ihrer Schwester zwar nicht den väterlichen Laden, aber dafür ein Tabakgeschäft in St. Gallen. Es folgte: Heirat, Kinder, Mutterpflichten, man zog in die Nähe von Wil, in ein Bauernhaus in Züberwangen. Man wohnte Wand an Wand mit dem Vieh, bei nächtlichen Kälbligeburten legte die Frau Hand an, aber als das Vieh auszog und der Stall frei wurde, da war die Idee vom Laden wieder da. Und dessen Name bot sich an: "Fueterchrippe". Das war in den 70er Jahren. Für Bea Wildhaber stürzte eine Welt ein, als die Kündigung kam. Zurück in eine Blockwohnung, die Vorstellung machte ihr Angst. Am Ende aber ging es nach Zuckenriet in ein Haus mit Sticklokal. Zwei Räume, einer für den Laden, der zweite für eine Galerie. Damit ging ein zweiter Kindheitstraum in Erfüllung. Es habe seinerzeit in Heiden eine Galerie gegeben, in der eine aus Hamburg zugezogene Frau arbeitete. "Das ist das Schönste im Leben, auf einem Stuhl sitzen und all die Bilder rundherum", habe sich die Fünfzehnjährige da gedacht, und den Entschluss gefasst: "Das will ich auch!" Mit vierzig war es so weit.

Reden und lachen
So wurde Zuckenriet ein Name, den man sich auch in der Fremde merkte. Die Schriftstellerin Eveline Hasler kam für eine Buchvernissage, Stefanie Glaser war da, Dieter Wiesmann sang schon in der Fueterchrippe. Im Dorf nahm mans zur Kenntnis, teils erstaunt, teil irritiert. Zur Irritation trug auch die unkonventionelle Galeristin mit den roten Haaren bei. "Dir sieht man die politische Gesinnung auch an", befanden einige spöttisch, andere sagten: "Du hast wenigstens eine Meinung, und die vertrittst du." Die Ausstellerinnen und Aussteller seien ihr fast ebenso wichtig wie ihre Bilder, sagt sie, und sie freut sich, dass in ihrem Laden "alles ein bisschen anders läuft". Wenn ein Vertreter ihr sage, dies oder jenes laufe sehr gut, dann sei sie schon skeptisch. "Ich habe nur Dinge hier, die mir selber gefallen." Das Besondere liegt aber nicht nur im Sortiment. Sondern in der Ausstrahlung der Inhaberin, die das Erbe des Vaters weiterträgt. "Mir gefällt es, wenn hier Leute ins Gespräch kommen, wenn gelacht wird." Genau das will sie, eine Gegenwelt zum Warenhaus, wo hinten schon gescharrt werde, wenn man ein paar Worte mit der Kassiererin wechsle. Ihr Mann spotte manchmal liebevoll, heute sei wieder viel geredet worden. Tatsächlich redet und erzählt sie gern. Und sie lacht gern und oft, auch über sich. Bea Wildhaber ist einer dieser Menschen, die das Leben als spannende Expedition sehen, denen scheinbar Unangenehmes oder Peinliches zur heiteren Anekdote wird. Wie etwa jene Episode in der Stadt, als sie zwei Mädchen tuscheln hörte: "Ouh, sieh mal die mit ihren roten Haaren, dabei ist die sicher schon über fünfzig." Sie drehte sich, schickte den Mädchen im Vorbeigehen die Bemerkung hinterher: "Nein, über sechzig!"

Die Angst vor der Anpassung
Die Frau scheint die Unerschrockenheit in Person, sie ist es auch, aber nicht nur. Sie kann auch zweifeln, sich schwer tun mit anonymem Getuschel, hat schlaflose Nächte wegen einer Ausstellung. Sie sei eine Waage, sagt sie als Erklärung, ergänzt dann: "Ich sehe vielleicht robuster aus, als ich bin." Ihr Kleinunternehmen, wie sie die "Fueterchrippe" spasseshalber nennt, wäre undenkbar ohne die Grosszügigkeit und Unterstützung ihres Mannes, ihrer Tochter, von lieben Freunden, diese Bemerkung liegt ihr am Herzen, und der Herbstmarkt, den sie seit zwanzig Jahren organisiert, werde mitgetragen von Freunden und Nachbarn aus dem Dorf. Bea Wildhaber ist verwurzelt in der Region, ihr Freundeskreis muss enorm sein, es ist ein regelrechtes Namedropping, wenn sie von Ausstellungen und Begegnungen erzählt. Und doch tut sie sich manchmal schwer mit der Ostschweizer Mentalität, mit Fragen wie "Darf man das?", "Macht man das?". Da entspricht ihr Italien schon eher, Griechenland, und schon in Basel, wo sie seit vielen Jahren in einer Fasnachtsclique aktiv ist, sei es anders. Während es hier schnell heisse: "Ouh, was trägt die für einen Schal!", so sagten dort manchmal wildfremde Menschen zu ihr: "Einen tollen Schal haben Sie!" Farbigkeit scheine hier nicht erlaubt, sagt sie lapidar. Und lacht. "So bin ich halt, man muss mich so nehmen, ich ändere mich nicht", sagt sie keck - um dann zu gestehen, sie habe auch schon Angst gehabt, sich zu sehr anzupassen. Die Gefahr scheint die mittlerweile 65-Jährige erfolgreich gebannt zu haben. Mit viel Herzblut, mit viel Engagement. Und mit einem schönen Motto: Du musst nichts mehr müssen, nur noch dürfen.
Beda Hanimann



Person: Bea Wildhaber ist 1941 in Heiden geboren und aufgewachsen. Das lebhafte Treiben im väterlichen Tabakladen beeindruckte das Mädchen. Später führte Bea Wildhaber in St. Gallen selber ein Tabakgeschäft. In den 70er Jahren eröffnete sie in Züberwangen den Geschenkladen "Fueterchrippe", den sie 1980 nach Zuckenriet zügelte und um eine Galerie ergänzte. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.

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